Im diesjährigen Jahresrückblick des Sozialgerichts Konstanz berichten wir exemplarisch über einige in letzter Zeit abgeschlossene Verfahren:
1. Corona-Impfschäden und Post-COVID
Verfahren über Impfschäden nach Corona-Impfung beschäftigen das Sozialgericht Konstanz weiterhin: Gegenstand des Verfahrens S 3 VE 1744/23 war ein Anspruch nach dem Infektionsschutzgesetz wegen eines Impfschadens. Die 1959 geborene Klägerin aus dem Bodenseekreis machte geltend, als Folge einer im Dezember 2021 erhaltenen Booster-Impfung gegen COVID 19 mit dem Impfstoff Comirnaty (BionTech) unter anderem eine Gangstörung erlitten zu haben. Die medizinischen Ermittlungen des Gerichts ergaben, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin zwischenzeitlich wieder verbessert hatte. Auch die Klägerin selbst sah dies so und nahm die Klage zurück.
Auch das Thema Post-COVID ist häufig Gegenstand der Verfahren beim Sozialgericht Konstanz: In mehreren Verfahren machten Angehörige von Gesundheitsberufen chronische Erschöpfungszustände (Fatigue), Konzentrationsstörungen, Muskel- und Gliederschmerzen, Depressionen und weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge einer Corona-Infektion geltend. Die zuständige Berufsgenossenschaft hatte zuvor eine Berufskrankheit anerkannt. Die von den Klägerinnen geltend gemachten Langzeitfolgen sah sie jedoch nicht in Zusammenhang mit der Infektion. Das Sozialgericht kritisierte, dass keine medizinische Begutachtung erfolgt sei. Die Beteiligten einigten sich auf Vorschlag des Gerichts, dass die Berufsgenossenschaft ihre Entscheidung auf der Grundlage einer für das Jahr 2025 erwarteten Begutachtungsanleitung zum Post-COVID-Syndrom des Spitzenverbandes der Berufsgenossenschaften (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung - DGUV) nochmals überprüft. Entscheidungen des Sozialgerichts mussten deswegen nicht ergehen (S 1 U 1028/24 und S 1 U 1176/24).
2. Gesetzliche Unfallversicherung
Verfahren der gesetzlichen Unfallversicherung sind auch sonst in medizinischer Hinsicht immer wieder komplex: In dem Rechtsstreit S 7 U 2005/21 ging es um die Folgen eines Arbeitsunfalls. Der 1972 geborene Kläger aus dem Landkreis Ravensburg war als Baggerfahrer verunglückt, als der Bagger umkippte und der Kläger aus dem Führerhaus geschleudert wurde. Der Kläger zeigte die Symptome einer Querschnittslähmung. Zu entscheiden war in dem Rechtsstreit, ob diese als Unfallfolge anzusehen ist. Das Gericht entschied mit Urteil vom 31.01.2024, dass die Bewegungsstörung psychisch verursacht sei. Nach dem Unfall seien keine schwerwiegenden, eine Querschnittssymptomatik begründenden organischen Verletzungen festgestellt worden. Dissoziative (funktionelle, organisch nicht erklärbare) Störungen könnten aber durch viele Faktoren verursacht werden. Hier habe bereits vor dem Unfall eine ausgeprägte Neigung bestanden, auf körperliche und psychische Problemsituationen mit organisch nicht hinreichend erklärbaren funktionellen Körpersymptomen zu reagieren. Die gezeigte Symptomatik habe nur im ersten Jahr nach dem Unfall diesem zugerechnet werden können. Danach sei von einer sogenannten „Verschiebung der Wesensgrundlage“ auszugehen, d.h. dass ein Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall jetzt nicht mehr bestehe. Gegen das Urteil ist die Berufung bei dem Landessozialgericht Baden-Württemberg anhängig (L 8 U 936/24).
3. Arbeitslosengeld; Bürgergeld
Eine Sperrzeit der Agentur für Arbeit war Gegenstand des folgenden Falles: Der 1981 geborene Kläger aus dem Landkreis Sigmaringen war als Versicherungsvertreter beschäftigt. Er schloss einen Aufhebungsvertrag, nachdem es Gespräche mit seinem Vorgesetzten wegen unzureichender Leistungen gegeben hatte. Als der Kläger sich arbeitslos meldete, stellte die Agentur für Arbeit eine 12-wöchige Sperrzeit fest. Der Kläger machte geltend, er habe eine Kündigung seines Arbeitgebers befürchtet und damit gerechnet, in dem Fall den Provisionsunterverdienst von ca. 13.000 € ausgleichen zu müssen. Deshalb habe er den Aufhebungsvertrag abgeschlossen. Sein früherer Arbeitgeber habe wegen des Aufhebungsvertrages auf den Ausgleich des Provisionsunterverdienstes verzichtet. Das Gericht wies die Klage mit rechtskräftigem Gerichtsbescheid vom 20.11.2024 ab (S 7 AL 798/24). Der Kläger habe durch den Aufhebungsvertrag die eingetretene Arbeitslosigkeit verursacht. Für die Frage einer Sperrzeit sei zu prüfen, ob dem Arbeitslosen ein anderes Verhalten zugemutet werden konnte. Dem Kläger sei keine Kündigung seines Arbeitgebers zum selben Zeitpunkt wie im Aufhebungsvertrag konkret angekündigt worden. Auch die Befürchtung des Klägers, er müsse im Fall einer arbeitgeberseitigen Kündigung den Provisionsunterverdienst ausgleichen, stelle keinen wichtigen Grund für den Abschluss eines Aufhebungsvertrages im Sinne der Sperrzeitregelung dar. Zu berücksichtigen sei unter anderem die Einkommenssituation des Klägers bei seinem letzten Arbeitgeber. Hier habe der Kläger über ein erhebliches Einkommen verfügt. Unter Berücksichtigung der Belange der Versichertengemeinschaft sei deshalb eine Sperrzeit von 12 Wochen eingetreten.
Gegenstand zahlreicher Rechtstreitigkeiten vor dem Sozialgericht Konstanz sind Ansprüche gegen das Jobcenter auf Bürgergeld: Ein Leistungsbezieher aus dem Landkreis Konstanz beantragte beim Jobcenter die Kostenübernahme für die Anschaffung eines Computers und eines Druckers zum Erstellen von Bewerbungen. Das Jobcenter lehnte eine Kostenübernahme ab. Die hierauf gerichtete Klage wurde vom Sozialgericht Konstanz mit Gerichtsbescheid vom 28.08.2024 (S 5 AS 1839/23) abgewiesen. Ein entsprechender Anspruch ergebe sich weder aus dem Anspruch auf eine Wohnungserstausstattung noch aus dem Vermittlungsbudget für Eingliederungsleistungen. Die Entscheidung wurde im Berufungsverfahren vom Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 29.11.2024 bestätigt (L 12 AS 2865/24).
4. Gesetzliche Krankenversicherung
In dem Rechtsstreit S 1 KR 565/24 ging es um die Kosten einer stimmfeminisierenden Operation. Die Klägerin aus dem Landkreis Konstanz wurde im Jahr 2002 als Mann geboren, lebt aber schon seit Jahren als Frau. Sie ließ auf der Grundlage eines zuvor geschlossenen privatärztlichen Vertrages eine stimmfeminisierende Operation durchführen. Hierfür wurden ihr über 7000 € in Rechnung gestellt. Ihre Krankenkasse lehnte eine Kostenerstattung ab, da die Operation nicht in einem Vertragskrankenhaus, sondern in einer privaten Klinik durchgeführt worden sei. Außerdem habe die Klägerin zuvor keine Anfrage bei der Krankenkasse gestellt. Das Gericht wies die Klage mit rechtskräftigem Gerichtsbescheid vom 22.05.2024 ab. Zwar gehörten geschlechtsangleichende Operationen zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Recht zur freien Arztwahl bestehe aber nur für eine vertragsärztliche Leistung im Wege der Sachleistung und nicht für eine privatärztliche Behandlung. Eine Kostenerstattung setze außerdem voraus, dass der Versicherte zunächst einen Antrag bei der Krankenkasse stelle, falls es sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung handele.
In dem Verfahren S 2 KR 2525/21 ging es um die Frage, ob die Krankenkasse der 1992 geborenen Klägerin aus dem Bodenseekreis wegen posttraumatischer Belastungsstörung und Autismus einen Assistenzhund zur Verfügung stellen muss. Das Sozialgericht Konstanz wies die Klage ab (rechtskräftiges Urteil vom 16.05.2024). Eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses für den Einsatz von Hunden für die Behandlung von Krankenversicherten liege nämlich noch nicht vor. Soweit es um eine Sicherheit für die Klägerin in der Wohnung und beim Verlassen des Hauses gehe, würde für die Klägerin ein „normal“ gut ausgebildeter Hund genügen. Damit seien aber die Kosten nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmen. Aus demselben Grund lägen auch die Voraussetzungen für eine Versorgung mit dem Assistenzhund im Rahmen der Eingliederungshilfe nicht vor.
Bei der 1962 geborenen Klägerin aus dem Landkreis Konstanz wurde wegen erheblichen Übergewichts eine Magenverkleinerungsoperation durchgeführt. Die Klägerin nahm in der Folge deutlich an Gewicht ab. Wegen der verbliebenen Hautfalten begehrte die Klägerin bei der zuständigen Krankenkasse die Durchführung einer Oberschenkelstraffungsoperation. Das Sozialgericht Konstanz wies die Klage ab. Eine Oberschenkstraffung nach deutlichem Gewichtsverlust sei keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn keine optische Entstellung sowie keine therapieresistente Haut- oder orthopädische Erkrankung aufgrund der Hautfalten vorliege (rechtskräftiges Urteil vom 19.09.2024 in dem Verfahren S 8 KR 1133/22).
5. Schwerbehindertenrecht; soziales Entschädigungsrecht
Im Bereich des Schwerbehindertenrechts wird immer wieder über das Vorliegen des Merkzeichens aG („außergewöhnliche Gehbehinderung“) gestritten. Das Merkzeichen berechtigt zur Benutzung von Behindertenparkplätzen. Aufgrund des begrenzten öffentlichen Parkraums und damit die Behindertenparkplätze, wenn sie gebraucht werden, auch wirklich verfügbar sind, sind die Voraussetzungen für das Merkzeichen sehr eng. Der 1946 geborene Kläger aus dem Bodenseekreis in dem Verfahren S 10 SB 171/23 leidet an einer zentral bedingten Hemiparese links nach einem Schlaganfall und zusätzlich an einer massiven Koordinationsstörung. Hilfsmittel (Rollator, Stock) kann er daher nicht verwenden. Kurze Strecken außerhalb der Wohnung (ca. 20 m) geht er gestützt von der Ehefrau. Freies Gehen ist ihm nicht möglich. Das beklagte Versorgungsamt anerkannte im Laufe des Klageverfahren das Merkzeichen aG. Aufgrund des Zusammenspiels von Lähmung und Koordinationsstörung seien die Voraussetzungen des Merkzeichens aG erfüllt.
Opfer von Straftaten können unter bestimmten Voraussetzungen Opferentschädigung erhalten. Gegenstand des Verfahrens S 10 VE 2060/21 war ein Anspruch auf Opferentschädigung nach polizeilichem Schusswaffengebrauch. Der 1976 geborene, polizeilich bekannte und vorbestrafte Kläger aus dem Bodenseekreis wurde von der Polizei gesucht, nachdem er zum Haftantritt nicht erschienen war. Er floh, mit einem Messer und Pfefferspray bewaffnet, vor den Polizisten, nachdem er zuvor (erfolglos) versucht hatte, seine Rottweiler-Hündin auf die Polizisten loszulassen. Den Rufen der Polizei, stehen zu bleiben, leistete er nicht Folge. Nach der Abgabe von Warnschüssen schoss die Polizei auf den Kläger und traf ihn im Bauchraum und am Bein. Infolge der Verletzungen leidet der Kläger noch immer an Schmerzen im Bauchraum und Verdauungsproblemen. Das Gericht entschied, dass der Schusswaffengebrauch gerechtfertigt gewesen sei, da der Kläger ein gewaltbereites und aggressives Verhalten gezeigt habe. Er habe damit eine Gefahr für unbeteiligte Personen dargestellt. Eine Opferentschädigung scheide deshalb aus (rechtskräftiger Gerichtsbescheid vom 09.07.2024).
Das Sozialgericht Konstanz entscheidet über Angelegenheiten der Sozialversicherung, des Bürgergeldes, der Sozialhilfe, des sozialen Entschädigungsrechts, des Schwerbehindertenrechts und weiterer Rechtsgebiete. Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Konstanz erstreckt sich über die Landkreise Konstanz, Ravensburg, Sigmaringen und Bodenseekreis.
Bei Rückfragen: Pressereferentin Richterin am Sozialgericht (sV) Meike Ebert; Tel.: 07531/207-115; Verwaltungsleiterin Gabriele Volk, Tel.: 07531/207-126